„Weder eine Schande noch ein Makel“
Die Gäste sind da, die Feier zum 80. Geburtstag kann losgehen: Der Vorsitzende des Blindenbunds Hanau, Josef Ender (links), konnte mehr als 100 Gäste begrüßen – und natürlich hier und da auch mal ein Schwätzchen halten. Foto: Paul
Bezirksgruppe Hanau des Blinden- und Sehbehindertenbundes feiert ihr 80-jähriges Bestehen – Helfen, dass das Leben weitergeht
Hanau (bac). „Ich halte unsere Arbeit für sehr wichtig,
weil von heute auf morgen jeder Mensch unsere Hilfe brauchen kann.“ Der
das sagt, heißt Josef Ender, ist 56 Jahre alt und durch einen ärztlichen
Kunstfehler seit seiner Kindheit blind. Als Vorsitzender der Bezirksgruppe Hanau
des Blinden- und Sehbehindertenbundes in Hessen engagiert er sich seit 15 Jahren
für Menschen, die ihr Augenlicht verlieren oder verloren haben. Am Wochenende
feierte die Gruppe ihr 80-jähriges Bestehen in der Gaststätte Sandelmühle.
„85 Prozent der Erblindungen treten nicht bei der Geburt, sondern erst
im Laufe des Lebens auf“, erklärt Josef Ender. Gründe seien
meist Krankheiten wie Diabetes oder ein Unfall. Blind sei, wer weniger als zwei
Prozent, sehbehindert, wer zwischen fünf und 15 Prozent verbliebene Sehleistung
habe. In Deutschland gebe es schätzungsweise 150 000 blinde Menschen, so
Ender. Die Bezirksgruppe Hanau – eine von insgesamt zehn in Hessen –
hat 135 Mitglieder und ist Ansprechpartner für Sehbehinderte und Blinde
im Main-Kinzig-Kreis und in der Goldschmiedestadt.
„In unserer Gruppe sind Behinderungen weder Schande noch Makel, sondern
eine Einschränkung“, sagt der gebürtige Rheinländer, den
die Liebe vor mehr als 20 Jahren nach Hanau verschlug. „Menschen im Erblindungsprozess
werden schwierig, aggressiv und kommen mit sich selbst häufig nicht mehr
zurecht. Der Verein versucht, das aufzufangen“, beschreibt Josef Ender,
der es für falsch hält, eine Erblindung zu verheimlichen.
Im Büro der Bezirksgruppe, Steinheimer Straße 1, erhalten auch Nichtmitglieder
eine kostenlose Erstberatung, die den Betroffenen helfen soll, die wichtigsten
Schritte bei Krankenkassen, Behörden, Arbeitsamt und Reha-Einrichtungen
in die Wege zu leiten. Neben bürokratischer Hilfe geht es vor allem auch
um zwischenmenschliche Beziehungen, die durch den Besuchsdienst und bei regelmäßigen
Veranstaltungen gepflegt werden.
„Wir versuchen, die Menschen mit anderen Menschen in Kontakt zu bringen
und ihnen damit Mut zu machen. Sie müssen sehen, dass das Leben weitergeht",
sagt Ender. Und wie zum Beweis erzählt der Vereinsvorsitzende die Geschichte
eines Mannes und einer Frau um die 70, die beide nur noch sehr wenig gesehen
haben. Ihre Schuhe hatten die leidenschaftlichen Wanderer längst verkauft.
Doch dann kam der Blindenverein Hanau dazwischen: Hier lernten sie sich kennen,
erstanden neue Wanderschuhe und machten gemeinsam Ausflüge mit dem Verein
und Reisen mit ihren Kindern. „So ging das zu Ende geglaubte Leben für
beide noch zehn Jahre weiter", freut sich der studierte Gymnasiallehrer
für die Fächer Russisch und Englisch. Heute vertreibt er gemeinsam
mit seiner Frau Brigitte Technik und Ausstattung für Blinde und Sehbehinderte
in Büros oder Bibliotheken in den ehemaligen GUS-Staaten.
Auch wenn die Zeit für Blinde in Deutschland, technisch und gesellschaftlich
gesehen, sehr viel besser sei als früher, gibt es laut Josef Ender noch
viel zu tun. Zum Beispiel die Distanz zwischen Blinden und Sehenden abzubauen
oder gegen die Kürzungen des Blindengeldes vorzugehen. Während Niedersachsen
die staatliche Förderung bereits abgeschafft hat, bleibt sie in Hessen
bis 2008 unangetastet. „Aber wer weiß, was danach kommt", orakelt
der 56-Jährige, der vor allem die Unterstützung von Kreis und Stadt
lobt. „Wenn in Hanau eine neue Ampelanlage aufgebaut wird, dann ist es
eine mit Signalton. In anderen Orten ist das nicht gang und gäbe."
Trotzdem: Dass es in der Sparkasse am Hanauer Marktplatz keinen blindengerechten
Bankautomaten gibt, hat Ender immer wieder erfolglos angemahnt. „Wir müssen
einfach noch mehr ins Bewusstsein kommen, Beachtung finden oder in Planungen
einbezogen werden", sagt er und erinnert sich an den Bau des Congress Park
Hanau. Dort fehlen heute taktile Pläne, durch die sich ein Blinder alleine
in dem Gebäude orientieren kann.
Für Josef Ender heißt das, dass er eine Veranstaltung im Congress
Park nicht ohne Begleitung besuchen kann. „Die Einrichtung blindengerecht
zu machen, hätte zwischen 10 000 und 20 000 Euro mehr gekostet. Das Geld
war scheinbar nicht mehr drin. Schade, dass man ausgerechnet daran gespart hat.“
www.tibsev.de
Nähere Informationen rund um die Bezirksgruppe Hanau des Blinden- und Sehbehindertenbundes in Hessen erhalten Interessierte von Josef Ender, Telefonnummer 0 61 81/3 26 61.