Der Helfer auf vier Pfoten
Über die Wichtigkeit gewaltfreier Arbeitsmethoden bei der Erziehung von Blindenführhunden. Von Elke Weigelt


Dank der richtigen Erziehung ein gutes Team:
Stefan Neubauer und sein Blindenhund Baily.

MAIN-KINZIG-KREIS Stefan Neubauer ist ein Mann mit einem Handikap. Um damit im Alltag klarzukommen, benötigt er Hilfsmittel. Sein wichtigstes hat vier Pfoten. Dies ist eine Geschichte über einen fast blinden Verwaltungsangestellten, gewaltfreies Tiertraining in einer Gründauer Hundeschule und die Labrador-Pudel-Hündin Baily, deren Schicksal ungewiss ist.

Im Alter von 23 Jahren brach bei dem gelernten Gas-Wasser-Installateur Neubauer Retinitis pigmentosa (RP) aus. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von erblichen Augenerkrankungen, die eine Zerstörung der Netzhaut zur Folge hat. Der heute 46-Jährige verfügt noch über einen kleinen Rest Sehfähigkeit – wie lange noch, ist unklar. Das Krankheitsbild weist sehr unterschiedliche Verläufe auf. Wahrscheinlich wird er eines Tages vollkommen blind sein wird.
1999 begann er eine Umschulung, seit 2006 ist er beim Main-Kinzig-Kreis als Telekommunikationsoperator beschäftigt. Mit Hunden ist Neubauer groß geworden und so wuchs mit dem zunehmenden Verlust der Sehfähigkeit auch das Interesse an einem Blindenführhund.
Eine kostspielige Angelegenheit: Die Preise für ein Helfertier liegen durchschnittlich bei 25 000 bis 30 000 Euro. Schulen für Blindenführhunde gibt es viele, einheitliche Standards für die Ausbildung hingegen nicht. Auch der Weg der Antragstellung ist lang, aber Neubauer wird von seiner Krankenkasse unterstützt. Und er hat Glück: Die Labradordame Lilly ist genau die richtige Begleitung für ihn. „Wir sind zusammen durch dick und dünn gegangen“, sagt er lächelnd. Nach sechseinhalb Jahren musste Lilly jedoch aus gesundheitlichen Gründen ihren Dienst quittieren. In einer Privatfamilie fand sie ein neues Zuhause.
In der Folge suchte Neubauer nach einem neuen Partner auf vier Pfoten. Die gewählte schwarze Labradorhündin Beauty entpuppte sich an der Leine und im Führgeschirr als aggressiv gegenüber anderer Hunde. Während der zweiwöchigen Einarbeitung hatte Beauty dieses Verhalten nicht gezeigt, da die Trainerin der Blindenführhundschule in der Nähe war.
Neubauer suchte Hilfe bei der Hundeschule Bilz in Mittel-Gründau. Leiterin Yesim Bilz hatte zwar jede Menge Hundeerfahrung, jedoch nicht mit Sehbehinderten und Blinden. „Ich musste das Training so gestalten, dass Herr Neubauer, auch wenn ich nicht neben ihm ging, wusste, wann ein anderer Hund auftaucht, damit er agieren konnte, anstatt nur zu reagieren. Dafür benutzten wir dann zum Beispiel ein Walkie-Talkie und Ohrstöpsel“, erklärt Bilz.
Die Vermutung liegt nahe, dass Beauty schlechte Erfahrungen in ihrer Ausbildung gesammelt hat, wahrscheinlich mit anderen Hunden. Ein Knackpunkt sei das häufig nicht gewaltfreie Training für Blindenführhunde. Noch immer seien Kneifen, Erschrecken oder körperliche Bedrohungen gebräuchliche Disziplinierungsmaßnahmen, obwohl diese völlig veraltet seien. Inzwischen nutze man gewaltfreies Training. Die Maxime dabei lautet: „Sage dem Hund, was er machen soll und nicht was er nicht machen soll.“ Trotz intensivem Training reagierte Beauty an der Leine und im Geschirr immer wieder aggressiv, wenn sie und ihr Herrchen im Alltag alleine unterwegs waren. Ohne Sehenden an seiner Seite konnte Neubauer nicht früh genug abschätzen, wann es Beauty zu viel wird. Für den Sehbehinderten eine schwere Situation. Einerseits hing er an seinem Hund, sie sind als Team gut zusammengewachsen. Andererseits brachte ihn das Fehlverhalten in gefährliche Situationen.
Im Austausch mit anderen Sehbehinderten und Blinden stellte Neubauer fest, dass Auffälligkeiten bei Blindenführhunden keine Einzelfälle sind. „Man sollte bei der Auswahl der Einrichtung kritisch sein“, resümiert Neubauer. Der Gesamteindruck, die Art der Haltung, Sauberkeit, Zucht und natürlich die gewählten Ausbildungsmethoden sollte man unter die Lupe nehmen.“
Und: „Man sollte den Mut haben, etwas zu sagen, wenn einem etwas am Hund auffällt, das man nicht für gut befindet. Viele Ersthalter trauen sich nicht, etwas zu sagen, weil sie Angst haben, dass sie den Hund wieder abgeben müssen. Und mit diesen Gefühlen spielen viele Blindenführhundschulen.“ Dank „grünem Licht“ seitens der Krankenkasse und einem neuen Lebensplatz für Beauty konnten Neubauer und Bilz sich gemeinsam auf die Suche nach einem neuen Begleithund machen. Immer wieder begegneten sie dabei miserablen Unterbringungen, zweifelhaften Ausbildungsmethoden oder selbstzertifizierten Trainern. Schließlich fällt die Wahl auf Baily, die nach gewaltfreien Methoden ausgebildet wurde.
Wie lange Neubauer mit der Hündin seinen Alltag teilen wird, ist ungewiss. Vor einigen Monaten wurde bei Baily Spondylose, eine krankhafte Veränderung der Wirbelsäule, diagnostiziert. Je nach Schwere des Krankheitsbildes und dem Grad der Schmerzen können Hunde bei entsprechender Medikation mit Spondylose leben, für Diensthunde wie Baily allerdings kann das die Verrentung bedeuten. Für Neubauer ein Schlag. Denn die Hündin und er sind schon eng zusammengewachsen.
Aufgeben wird er nicht. Denn das höhere Maß an Selbständigkeit, dass er mit einem Blindenführhund genießen kann und die zusätzlichen Kontakte, die sich dadurch in seinem Leben ergeben, möchte er nicht mehr missen.

das Geschirr des Blindenhundes, darauf steht: Nicht ablenken. Bin im Dienst. Piktogramm: Verbotsschild mit einer Hand und einem Hund, . Blindenkennzeichen: 3 schwarze Punkte auf gelbem Grund.
Sobald Baily auf offener Straße "im Dienst" ist, muss sie
auf ihre Aufgaben fokussiert sein.
Streicheleinheiten von Passanten sind hier verboten. Fotos: Weigelt

 

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