Am 16.April 2016 stand dieser Artikel in der Hanau Post. Silvia Schäfer und Andreas Schild hatten eine Stadtrundgang durch Hanau gemacht, um zu zeigen, wie die Stadt sich auch in Bezug auf die Bedürfnisse der Sehgeschädigten verändert hat.
Reiter mitten
im Weg
Beim Innenstadt-Umbau ist für Blinde viel passiert - Probleme
bleiben dennoch
Ein Leitsystem für
Sehbehinderte und Blinde wurde im Zuge des Innenstadt-Umbaus an etlichen neuralgischen
Punkte wie hier an
den Bushaltestellen auf dem Freiheitsplatz installiert. Silvia Schäfer
und Andreas Schild zeigen, wie es funktioniert. © Spindler
Hanau - Wie kommt man als Sehbehinderter oder Blinder in der Innenstadt zurecht? Welche Barrieren tun sich auf, wenn man bei einem Arztbesuch der deutschen Sprache nicht mächtig ist? Solchen und anderen Hürden im Alltag gehen wir in loser Folge in einer neuen Serie nach. Von Christian Spindler
Wir stellen
Menschen vor, die diese Hürden bewältigen müssen und zeigen auch,
welche Hilfen ihnen zuteil werden. „Gleich wird´s tückisch“,
sagt Silvia Schäfer, verlangsamt ihren Schritt und lässt ihren Blindenstock
noch aufmerksamer im Halbkreis vor sich über den Boden pendeln. Der Stock
ist quasi ihr Sinnesorgan, denn Silva Schäfer muss ertasten, wohin sie
geht. Sie ist praktisch blind, hat nur noch ein Prozent Sehvermögen. Die
Strecke, die wir beim Ortstermin laufen, kennt sie. Sie ist Teil ihres Wegs
zur Arbeitsstelle. Und sie kennt die tückischen Stellen: etwa in der Römerstraße,
wo Geschäfte auf dem Gehweg Werbereiter aufgestellt haben. Was für
Sehende allenfalls ein Ärgernis ist, weil sie drumherum laufen müssen,
kann für Sehbehinderte und Blinde zur gefährlichen Stolperfalle werden.
Ob in der Nürnberger Straße oder in der Rosenstraße - wir werden
beim weiteren Rundgang an etliche tückische Stellen kommen. „Wenn
die Werbetafeln wenigstens in einer Linie und nicht versetzt stehen würden,
wäre schon viel geholfen“, sagt Schäfer.
Es sind Werbereiter, Tische und Kleiderständer vor Läden, aber auch
das Auto, das vor der Hauptpost mitten auf dem Gehweg parkt, die für Menschen
wie Silvia Schäfer und Andreas Schild, der beim Rundgang dabei ist, zu
Hürden im Alltag werden.
Oft ist es Unachtsamkeit oder fehlendes Wissen, das dazu führt,
dass Sehbehinderten und Blinden der Weg versperrt ist.
Eigentlich
sei die Situation nach dem Innenstadt-Umbau für Sehbehinderte und Blinde
in Hanau „richtig gut“, sagt Schäfer. „Es ist viel gemacht
worden“, pflichtet Schild bei. Muss auch. Denn wo neue Bushaltestellen
oder Überwege angelegt werden, sind die Kommunen gesetzlich verpflichtet,
auch Hilfen für Sehbehinderte oder Blinde zu installieren. Und weil in
Hanau viel erneuert wurde, gibt es auch viele solcher Hilfen. Zum Beispiel so
genannte Aufmerksamkeitsfelder an potenziellen Gefahrenpunkten. Helle Pflastersteine
mit Rillen, in denen der Blindenstock von Silvia Schäfer gleitet. Die Rillen
geben die Richtung vor, Noppenfelder weisen auf neuralgische Punkte hin. So
ein Leitsystem ermöglicht es Blinden, auch schwierige Übergänge
wie etwa zur Bushaltestelle auf dem Kreisel am Kanaltorplatz zu bewältigen.
Zudem gibt es an vielen Ampeln akustische Signale, die zum einen auf die Ampel
an sich hinwiesen; zum anderen kann mit einem verdeckten Knopf ein weiteres
Akustik-Signal angefordert werden, das anzeigt, wann Grün ist.
Es ist beeindruckend, wie sicher Silvia Schäfer und Andreas Schild auch
solche vermeintlich schwierige Situationen mit viel Verkehr und mehreren Überwegen
wie am Kanaltorplatz meistern. „Hier kenne ich mich auch aus“, sagt
Schäfer, andernorts tue sie sich viel schwerer. Erst recht, wenn Orientierungshilfe
fehlen, wie zum Beispiel vielfach am Hanauer Hauptbahnhof.
Silvia Schäfer ist Vorsitzende des Blinden- und Sehbehindertenbundes in
Hanau, der hier 190 Mitglieder zählt, 40 davon fördernde. Wie viele
Sehbehinderte und Blinde es in Deutschland gibt, weiß man nicht genau.
Sie werden nicht erfasst. Schätzungen sprechen von 1,2 Millionen. Andreas
Schild, der immerhin Hell-Dunkel-Kontraste wahrnehmen kann, gehört zum
Leitungsteam der Bezirksgruppe. Vor dem City-Umbau sei die Bezirksgruppe angehört
worden, berichtet er, es gab auch Begehungen. Und auf Anfragen und Vorschläge,
etwas zu ändern, werde von der Stadt „in der Regel rasch reagiert“,
lobt Schäfer. Und vielleicht wird auch eine Änderung umgesetzt, die
Schäfer und Schild für die neuen, mit elektronischen Anzeigetafeln
ausgestatteten Bushaltestellen vorschlagen. Dort können Blinde und Sehbehinderte
mittels Knopfdruck zwar eine Fahrplanansage abrufen. „Die ist aber viel
zu lang und verwirrend“, sagen Schäfer und Schild, während sie
die Funktionsweise an der Marktplatz-Haltestelle demonstrieren.
Oft ist es aber die Achtlosigkeit von anderen, die für Sehbehinderte und
Blinde zur Hürde wird - zum Beispiel beim Leitsystem. „Viele denken
einfach nicht daran, oder sie wissen gar nicht, was das ist“, sagt Schäfer.
Offenbar weiß auch ein Gastronom am Freiheitsplatz nicht um die Rillensteine,
die für Blinde wichtige Orientierung sind. Jedenfalls hat er die große
Hinweistafel seines Lokals mitten auf das Leitsystem platziert. Es sind solche
Dinge, Gefahrenpunkte für Sehbehinderte oder Blinde, auf die Schäfer
und Schild hinweisen. Sie wollen aufmerksam machen, damit hie und da etwas für
Menschen mit Handicaps verbessert wird, damit Hürden abgebaut werden, wo
es notwendig ist. Das ist schon viel. „Denn wir wollen ja gar nicht“,
sagt Silvia Schäfer, „dass sich alles nur um uns dreht.“
Info-Kontakt:
Das Büro der
Bezirksgruppe Hanau des Blinden- und Sehbehindertenbundes in Hessen e.V. und
die Technische Informations- undBeratungsstelle für Blinde und Sehbehinderte
befindet sich im Haus am Steinheimer Tor.
Infos und Termine bekommt man unter Telefon 06181 956663 oder per E-Mail an
info@tibsev.de.